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15. 04. 2021

Anna Artwińska: Grenzfälle des autobiographischen Schreibens: Karel Čapeks Hovory s T.G. Masarykem

Online-Vortrag in der Reihe "Prager Vorträge"

 

Das Collegium Carolinum
und das Deutsche Historische Institut Warschau laden
in Zusammenarbeit mit dem Masarykův ústav a Archiv AV ČR
zu diesem Onlinevortrag von

Jun. Prof. Dr. Anna Artwińska
(Universität Leipzig)

am Donnerstag, 15. April 2021, 16:00 Uhr ein.

Moderation: Dr. Lucie Merhautová (MÚA)
Der Vortrag findet über Zoom statt.
Anmeldung bei Florian Ruttner (florian.ruttnerwhatever@collegium-carolinum.de)

In dem Vortrag geht es um die Frage, ob und inwieweit Čapeks Hovory s T.G. Masarykem (Gespräche mit T. G. Masaryk) als eine kollaborative Autobiographie und damit auch als ein Grenzfall des autobiographischen Schreibens bezeichnet werden können. Der Fokus wird auf die Entstehungsgeschichte von Hovory gelenkt, insbesondere auf die Selbstinszenierung von Karel Čapek, der sich während des Schreibprozesses und danach als „Verfasser“ bezeichnete und sich seinem Gesprächspartner konsequent unterordnete. Nach Philip Lejeune wird argumentiert, dass die in Zusammenarbeit verfassten Autobiographien stets eine „Störung im System“ verursachen, weil das autobiographische „Ich“ hier gesplittet wird und keine Einheit mehr bildet. Es wird der Frage nachgegangen, mit welchen Strategien Čapek die Ich-Perspektive im Text simulierte und wo sich mögliche Leerstellen auftun. Dabei geht es hier nicht so sehr um die Wertung, sondern um ein Verständnis dafür, warum die Gespräche die Form einer mündlichen Autobiographie angenommen haben und inwieweit die Wahl dieser Form als bewusste Entscheidung der beiden Gesprächspartner getroffen wurde. Masaryks Schriften über Literatur und sein Verständnis vom auto-/biografischen Schreiben gelten hierbei als ein wichtiger Kontext, genauso wie Čapeks Selbstwahrnehmung als Autor. Nicht zuletzt wird auch die Rolle, die Masaryks Umfeld (insbesondere seine Tochter Alice) auf die Gespräche ausgeübt hat, analysiert. Der Vortrag argumentiert, dass man die Lebensgeschichte der im Text biographierten Person erst dann verstehen kann, wenn man in Betracht zieht, wie sie geschrieben wurde und dass sie möglicherweise genauso viel erzählt wie sie verbirgt. Gleichzeitig dürfen die Gespräche nicht nur als Quelle über das Leben des ersten tschechischen Präsidenten, sondern auch als ein sehr interessanter literarischer Text, der das Feld des autobiographischen Schreibens neu ordnet und erweitert, betrachtet werden.