Musealisierung der Erinnerung - Zweiter Weltkrieg und nationalsozialistische Besatzung in Museen, Gedenkstätten und Denkmälern im östlichen Europa

Projektleitung: Martin Schulze Wessel

Projektzeitraum: Oktober 2008 – September 2012

Förderung: VolkswagenStiftung (Förderinitiative "Einheit in der Vielfalt? Grundlagen und Voraussetzungen eines erweiterten Europas")

 

Die Debatten über den 60. Jahrestag des Kriegsendes 1945 haben deutlich gezeigt, dass in vielen Staaten Europas der Zweite Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit nach wie vor einen zentralen Bezugspunkt kollektiver Erinnerung und nationaler Geschichtspolitik darstellen. Debatten um Museen, historische Ausstellungen und Gedenkstätten kam dabei eine wesentliche Rolle zu.

Vor allem in den postkommunistischen Staaten im östlichen Europa führte das Bedürfnis, die museale Präsentation der Kriegs- und Nachkriegserfahrung den veränderten politischen Gegebenheiten anzupassen, zu einer Reihe von Neugründungen von historischen Museen. Zugleich erfuhren viele bestehende Gedenkstätten neue Deutungen; Denkmäler, die an die Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg erinnern, wurden teils neu errichtet, teils von ihrem Standort entfernt.

Ziel des Projekts ist es, museale Präsentationen, Gedenkstätten und Denkmäler, die die Besatzungspolitik und Besatzungserfahrung im Zweiten Weltkrieg thematisieren, im Hinblick auf ihre spezifischen Semantiken, Präsentationslogiken und Funktionen zu untersuchen. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, mit Hilfe welcher Symbolsprachen und durch welche Inklusions- und Exklusionsprozesse Wir-Gemeinschaften hergestellt werden.

Einen Fluchtpunkt der Untersuchungen bildet die Frage, welche Tendenzen der Universalisierung von Gedächtnis bzw. der Partikularisierung von Erinnerungen an die Zeit der Besatzungsherrschaft in Europa festzustellen sind. Zu unterscheiden sind dabei nationenübergreifende Präsentationen von Besatzungsherrschaft, Lagererfahrung, Shoah und die Befreiung von Symbolisierungen, die verschiedene europäische Erinnerungsregionen voneinander trennen.

Das mit Nachwuchswissenschaftler/innen international besetzte Forscherteam untersucht diese Frage in mehreren Einzelprojekten, welche Belarus, Litauen, Polen, Russland und Tschechien betrachten. Ein gesamteuropäischer Reflexionsrahmen wird durch zwei internationale Konferenzen eröffnet.

Projektleiter

  • Prof. Dr. Włodzimierz Borodziej (Universität Warschau)
  • Hon.-Prof. Dr. Monika Flacke (Deutsches Historisches Museum Berlin/Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)
  • Prof. Dr. Etienne François (Freie Universität Berlin)
  • Prof. Dr. Irene Götz (Ludwig-Maximilians-Universität München)
  • Prof. Dr. Peter Haslinger (Herder-Institut, Marburg/Justus-Liebig-Universität Gießen)
  • Prof. Dr. Miloš Havelka (Karls-Universität Prag)
  • Prof. Dr. Volkhard Knigge (Gedenkstätte Buchenwald/Friedrich-Schiller-Universität Jena)
  • Dr. Frithjof Benjamin Schenk (Universität Basel)
  • Prof. Dr. Bernd Schönemann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
  • Prof. Dr. Martin Schulze Wessel (Collegium Carolinum München/Ludwig-Maximilians-Universität München)

Kooperationspartner

  • Dr. Nicolas Beaupré (Université Blaise Pascal, Clermont-Ferrand)
  • Prof. Dr. Gustavo Corni (Universität Trento)
  • Dr. Jorunn Sem Fure (Universität Oslo)
  • Dr. Christian Ingrao (Institut d´histoire du temps présent Paris)
  • Prof. Dr. Krzysztof Pomian (Le musée de l´Europe – Jean Monnet, Brüssel/Universität Toruń)
  • Dr. Wassyl Rassewytsch (Ukrainische Nationalakademie der Wissenschaften, Ľviv)
  • Prof. Dr. Stefan Troebst (Universität Leipzig/Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Leipzig)
  • Prof. Dr. Olivier Wieviorka (Ecole Normale supériore de Cachan)

Publikationen

Medien zwischen Fiction-Making und Realitätsanspruch
Konstruktionen historischer Erinnerungen

 

Krieg im Museum
Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa

Krieg und Kriegserinnerung im Museum. Der Zweite Weltkrieg in polnischen historischen Ausstellungen seit den 1980er-Jahren

Monika Heinemann

Das Projekt befasst sich mit der Frage, wie sich die Darstellungen bzw. Deutungen der Zeit des Zweiten Weltkriegs als dem zentralen Bezugspunkt des nationalen historischen Gedächtnisses in Geschichtsmuseen der Republik Polen seit der Zäsur von 1989 entwickelt haben.

Gegenstände der Untersuchung sind regionale und städtische Geschichtsmuseen sowie Einrichtungen, die eine nationale Bedeutung für sich beanspruchen. Analysiert werden sowohl die Konzeptionen und Inhalte von (Dauer-)Ausstellungen als auch die in ihnen zum Einsatz kommenden Präsentationstechniken. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der diachronen Betrachtung von Entwicklungen und Veränderungen in der Darstellung einzelner Themen sowie der Verwendung nationaler, religiöser und politischer Symbolik in den musealen Präsentationen. Zudem wird der institutionelle und rechtliche Rahmen der Ausgestaltung der nationalen Museumslandschaft betrachtet.

Leitfragen des Forschungsprojektes sind: Inwieweit ist die Entwicklung eines einheitlichen Narrativs innerhalb der Geschichtsmuseen unterschiedlicher geographischer Reichweite/Ausrichtung erkennbar; gibt es regional oder lokal abweichende Deutungsmuster? Welche Gruppen werden in den jeweiligen Narrativen inkludiert bzw. exkludiert? Welche Ereignisse werden in den Ausstellungen hervorgehoben, welche werden dagegen nicht thematisiert? Ist die Ausbildung einer Hierarchie innerhalb der Museumslandschaft in Bezug auf Interpretationsvorgaben zu verzeichnen; welche Rolle spielen hierbei Museumsneugründungen? Welchen Einfluss üben neue wissenschaftliche Erkenntnisse sowie gesellschaftliche und politische Debatten und Akteure auf die Inhalte und Konzeptionen der Ausstellungen aus?

Die Musealisierung der deutschen Besatzung im neuen Nationalstaat: Die Republik Belarus

Ekaterina Keding (geb. Militskikh)

Im Rahmen der offiziellen belarussischen Geschichtspolitik wird das Gedenken an die Besatzungszeit im „Großen Vaterländischen Krieg“ nicht nur als Visitenkarte des Landes präsentiert, sondern auch als zentraler Baustein in der nationalen Helden- und Opfererzählung aufgefasst.

In dem Dissertationsprojekt wird die Musealisierung der Erinnerung an die nationalsozialistische Besatzung in Museen, Gedenkstätten und Denkmälern untersucht. Weil innerhalb der Sowjetunion der Partisanenmythos in der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik besonders ausgeprägt war und seit dem Zusammenbruch die Republik Belarus zu den wenigen Republiken zählt, die sich in diesem Bereich nur in Ansätzen von der sowjetischen Vergangenheit distanziert haben, richtet sich der Blick in erster Linie auf die Repräsentationen des Partisanenwiderstands. Es werden aber auch die Gedenkorte an den Holocaust und die musealisierten zerstörten Orte in die Untersuchung einbezogen.

Die Leitfragen des Forschungsprojektes sind: Was zeichnet die musealen Repräsentationen des „Großen Vaterländischen Krieges“ in der Republik Belarus aus? Wie wird anhand der Partisanendenkmäler, Gedenkstätten und Museen das Nationale konstituiert und inszeniert? In welcher Beziehung stehen die Gedenkorte an den Partisanenwiderstand zu den anderen Gedenkorten, die an die deutsche Besatzung erinnern? Mit welchen geschichtskulturellen Symbolen wird der Holocaust seit der Nachkriegszeit musealisiert und erinnert? Welche Rolle spielen alle diese Orte im Bereich der Geschichtsvermittlung und des Tourismus?

Es werden sowohl der institutionelle Rahmen und die Präsentationstechniken der untersuchten Einrichtungen als auch die sozialen Praktiken und Initiativen im Bereich des nicht staatlich geformten Gedenkens zu untersuchen sein. Im Mittelpunkt steht die Frage nach Brüchen und Kontinuitäten, die im Hinblick auf die Zäsur von 1989/91 im Bereich der Musealisierung des Zweiten Weltkriegs in der Republik Belarus zu beobachten sind.

Denkmäler, Gedenkstätten und die Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik

Petr Koura

Auf dem Gebiet der Tschechischen Republik befinden sich derzeit mehrere tausend Denkmäler oder Gedenkstätten, die an die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und an die Opfer dieses Konflikts erinnern. Diese Denkmäler haben unterschiedlichste Formen – von einfachen Gedenktafeln bis zu monumentalen Mahnmalen, die vor allem in der Zeit der kommunistischen Diktatur errichtet wurden und die nicht selten die historischen Geschehnisse innerhalb des damaligen ideologischen Kontextes interpretieren. Einige Denk- und Mahnmale wurden wiederum beseitigt, weil sie der bestehenden politischen Situation nicht entsprachen.
 
Ziel des Projekts ist es zu analysieren, auf welche Weise seit dem Jahr 1945 in der Tschechoslowakei/Tschechischen Republik an die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs (einschließlich des Holocaust) erinnert wurde. Untersucht wird die Sprache der Denkmäler, d. h. welche Ausdrücke in den jeweiligen Dekaden genutzt wurden, wie sich die Sprache geändert hat und wie sie durch das herrschende Regime beeinflusst wurde. Offengelegt wird, wie die Schuldigen und auch die Opfer benannt wurden (z. B. als "Okkupanten", "Faschisten", "jüdische Mitbürger"), welche Opfer-Gruppen bevorzugt und welche wiederum verschwiegen wurden, beispielsweise auf welche Weise die Teilnahme der Sudetendeutschen am Widerstand gegen den Nationalsozialismus erwähnt wird. Ferner wird analysiert, wie die Denkmäler visuell gestaltet wurden (u.a. mittels Statuen oder Soldatenreliefs, weinenden Frauen) und welche Symbole sich auf ihnen wiederholen. Besondere Aufmerksamkeit wird den beseitigten und verschwundenen Denkmälern gewidmet (vor allem nach 1948 und nach 1990).
 
Untersucht werden nicht nur die Denkmäler selbst, sondern auch der Kontext, in dem diese entstanden sind. Bei Denkmälern aus der kommunistischen Zeit wird beobachtet, in welchem Maß die historischen Ereignisse entstellt werden (z. B. Denkmäler in Gebieten, die durch die amerikanische Armee befreit wurden, die aber den sowjetischen Soldaten für die Befreiung danken). Das Projekt bemüht sich außerdem zu beschreiben, auf welche Weise die Denkmäler und Gedenkstätten in den Diskurs über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs eingreifen und auf welche Weise sie zur Formierung des kollektiven Gedächtnisses der tschechischen Gesellschaft über diese Geschichtsperiode beitragen.

Visual Memory der Shoah in Polen (seit 1945)

Hannah Maischein

Die visuelle Dimension der Erinnerung an die Shoah in Medien der nationalen Repräsentation und Geschichtsdidaktik (Ausstellungen in Museen und Gedenkstätten, Kataloge, Geschichtsbücher und Presseerzeugnisse) seit 1945 ist Gegenstand der Untersuchung.

Im Fokus der diachronen Analyse stehen die polnische Wahrnehmung und Darstellung des polnisch-jüdischen Verhältnisses während des Zweiten Weltkriegs. Polen war vor dem Krieg das Zentrum des europäischen Judentums; im Krieg wurde es zum Schauplatz seiner Vernichtung durch die Nationalsozialisten. Erinnert wurde in der Volksrepublik Polen das Leiden der polnischen Nation als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“. Seit dem Systemumbruch 1989 werden neue historiographische Untersuchungen veröffentlicht und das antifaschistische Narrativ reflektiert; die Überprüfung der martyrologischen Interpretation der Geschichte Polens, die damit einhergeht, führt zu heftigen öffentlichen Debatten. Besonders das polyvalente Verhältnis von Polen und Juden während des Krieges bietet Anlass für Kontroversen.

In der Untersuchung werden auch Brüche und Kontinuitäten in der visuellen Repräsentation der Shoah im Moment der Transformation der Geschichtsinterpretation gezeigt. Ein integraler Bestandteil der zwischen Bild- und Sozialwissenschaften angesiedelten Arbeit ist es, einen methodologischen Beitrag zur Analyse von Bilddiskursen zu leisten.

Erinnern am Ort des Terrors: KZ-Gedenkstätten in Ostmitteleuropa

Piotr M. Majewski

Das Projekt befasst sich mit zeitgenössischen Formen des Gedenkens in Museen, die sich an den Standorten ehemaliger Konzentrations- und Vernichtungslager befinden.

Analysiert werden die Dauerausstellungen im "Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau", im "Staatlichen Museum in Majdanek" mit seiner Abteilung in Bełżec, im "Staatlichen Museum Stutthof" sowie im "Museum des Kampfes und des Martyriums" in Treblinka. In jeder dieser Einrichtungen sollen Interviews mit den Direktoren und mit Mitarbeitern geführt werden, um detaillierte Informationen über den Aufbau der aktuellen Ausstellungen, deren Hintergründe und zukünftige Veränderungen zu erhalten.

Zusätzlich sollen Orte der Vernichtung und KZ-Gedenkstätten in anderen Ländern untersucht werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Ausstellungen in den Gedenkstätten Theresienstadt, Tschechien, und Buchenwald, Deutschland. Anhand dieser beiden nicht-polnischen Beispiele soll gezeigt werden, wie die Musealisierung des Holocaust in den Nachbarländern Polens erfolgt, um mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen.

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Museen, Gedenkstätten und Denkmälern in Litauen nach 1989

Ekaterina Makhotina

Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens steht die Frage nach der Entwicklung der musealen Präsentation des Zweiten Weltkriegs in Litauen im Kontext des geschichtspolitischen Wandels nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Es wird die Symbolik herausgearbeitet, die in der Sowjetzeit diskursformend war und den staatlichen Erinnerungskanon an "Didysis Tėvynės Karas", litauisch für den "Großen Vaterländischen Krieg", prägte.

Nach 1989 verlor das Kriegsgedenken in der Erinnerungskultur des Landes an Gewicht und wich einem expliziten antisowjetischen Impuls sowie der Betonung eines litauischen Opferbildes. Gegenwärtig wird der Krieg auf der staatlichen Ebene vor allem im Kontext des Holocaust-Gedenkens thematisiert und erhält eine visuelle und materielle Gestalt lediglich an den Orten, die mit der Massenvernichtung jüdischer Bürger zusammenhängen. Sinnfällig ist dabei das visuelle Nebeneinander der in einer emotionalisierenden und identitätsstiftenden Form gestalteten Narrative der Holocaustopfer einerseits und der litauischen Opfer des sowjetischen Terrors andererseits. Gleichzeitig lassen sich neben dem aktuellen, staatlich geförderten Narrativ die Diskurse anderer Kollektive ausmachen (wie Kriegsteilnehmer, transnationale Netzwerke), die ihre eigene visuelle und rituelle Ausgestaltung erhalten. Außerdem richtet sich der Blick auf die museale Präsentation des Zweiten Weltkriegs sowohl auf der offiziellen geschichtspolitischen Ebene als auch auf der Ebene des nicht-staatlichen sozialen Gedächtnisses im heutigen Litauen.

Konferenz 2009

Medien zwischen Fiction-Making und Realitätsanspruch – Konstruktionen historischer Erinnerung

München, 3.–5.9.2009
Programm

Konferenz 2011

Zwischen Geschichte und Politik: Der Zweite Weltkrieg in Museen und Gedenkstätten im westlichen und östlichen Europa

München, 29.6.–1.7.2011
Programm
Flyer, Plakat