Diskurse von Opferverbänden: Deutschland, Tschechien und die Slowakei im Vergleich

Projektleitung: Martin Schulze Wessel, K. Erik Franzen

Projektzeitraum: Oktober 2007 – September 2011

Träger: Beauftragter für Kultur und Medien der Bundesregierung / Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität

"Diskurse von Opferverbänden" ist ein Projekt der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission, das in Verbindung mit dem Collegium Carolinum durchgeführt wird. Untersucht werden Opfergruppen des Zweiten Weltkriegs respektive ihre Verbände, die nach 1945 auf unterschiedliche Weise als Akteure aufgetreten sind und dabei ihre Erfahrungen zur Legitimationsgrundlage ihres Handelns gemacht haben.

Die Beschäftigung mit Opferverbänden und ihren Diskursen ist zum einen deshalb relevant und wissenschaftlich sinnvoll, weil sich hier individuelle Erinnerungen bündeln und politisch wirksam werden. In Bezug auf die übergeordnete staatliche Ebene wird zum anderen auf der Seite der Opferverbände ein Diskurs produziert, der eine Sinnressource für staatliches Handeln darstellen kann – aber nicht muss.

Hierbei stellt sich die Frage, in welchem Maße die individuelle Erinnerung in die Opferdiskurse der Verbände Eingang findet und ob die emotions- und sinnhaltigen Deutungen der Verbände von staatlicher Seite aufgegriffen werden. Es lohnt sich aber auch, umgekehrt staatlichen Formierungsversuchen von individueller und verbandsbezogener Erinnerung nachzugehen. War der Staat nicht nur daran beteiligt, bestimmte bestehende Erinnerungen zu organisieren, sondern trug er auch gezielt zur Konstitution von Erinnerungs- und Erzählmustern bei?

Die Leitfragen des Projekts thematisieren den Ort, den Opfergruppen im historischen Gedächtnis einnehmen beziehungsweise einnehmen sollen, für die Gesellschaften der DDR, der Tschechoslowakei und ihren Nachfolgestaaten sowie Polens. Gefragt wird danach, welche Opfernarrative sich im Kampf um die Erinnerung und die Deutung der Geschichte auf nationaler und europäischer Ebene herauskristallisiert beziehungsweise durchgesetzt haben.

Wie hat sich die Wahrnehmung von "aktiven" und "passiven" Opfern seit 1945 gewandelt?

Heldenopfer/Opferhelden. Das Komitee der Antifaschistischen Widerstandkämpfer

K. Erik Franzen

Die Frage nach dem spezifischen Beitrag einer Opfergruppe in der DDR im Umgang mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen steht im Zentrum des Projekts. Thematisiert werden Handlungsfelder, Motive und Ziele ihres Engagements, ihre Einbettung in den historisch-politischen Kontext und nicht zuletzt ihr Selbstverständnis sowie die Formen der Re-Präsentation und Artikulation ihrer Forderungen.
 

Selbst wenn vermutet werden kann, dass die autonomen Handlungsspielräume einer SED-nahen Organisation vor dem Hintergrund des Kalten Krieges eher gering waren, lohnt ein Blick auf die Vorgeschichte, Entstehung und weitere Entwicklung des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer in der DDR. Und zwar deshalb, weil in diesem Fall zum einen besonders anschaulich der politisch gelenkte Umgang mit den Interessen verschiedener Opfergruppierungen sichtbar wird und zweitens die instrumentelle Selbstindienstnahme einer bestimmten Gruppe auf Kosten anderer Opfer gezeigt werden kann.
 

Anhand einer Analyse der Inszenierung und diskursiven Ausgestaltung des Gedenktages für die Opfer des Faschismus wird danach gefragt, ob der Opferdiskurs des Komitees in seinem Zeitverlauf bis in die achtziger Jahre tatsächlich so zementiert war, wie dies von einer solchen Organisation erwartet werden könnte. War das Komitee mithin überhaupt ein Opferverband oder nicht bloß eine Plattform für die Zurschaustellung eines vorgegeben Heldenbilds des politischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus?

K. Erik Franzen

Jüdische Repräsentationen des Holocaust in der Tschechoslowakei nach 1945

Peter Hallama

Zwischen staatlichem Tabu und jüdischer Erinnerungspflicht: Die „jüdische Erinnerung“ an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust steht im Mittelpunkt des Dissertationsprojekts.

Über einen relativ langen Zeitraum hinweg, von 1945 bis in die frühen 1990er Jahre, werden die sich wandelnden Möglichkeiten, Formen und Grenzen dieser minoritären Erinnerungskultur in einem kommunistischen Staat untersucht. Dadurch können semantische Kontinuitäten und Veränderungen sowie diskursive Regelmäßigkeiten und Brüche herausgearbeitet werden: In welchem Verhältnis standen die staatliche Geschichtspolitik der sozialistischen Tschechoslowakei, die mehrheitsgesellschaftliche Erinnerungskultur und die jüdische Erinnerung zueinander? Wo befanden sich die Überschneidungen und Unterschiede zwischen dem antifaschistischen und kämpferischen Geschichtsbild einerseits und der lange unscheinbaren Auseinandersetzung der tschechoslowakischen Juden mit der Shoah andererseits – und vor allem: wo lassen sich wechselseitige Bezugnahmen und Abhängigkeiten erkennen?

Der hier verfolgte Ansatz soll die oft politikgeschichtliche Analyse von Erinnerungskulturen um eine „Sozialgeschichte des Erinnerns“ (Peter Burke) erweitern, welche es ermöglicht, die verschiedenen, miteinander zugleich in Kontakt wie in Konflikt stehenden „Erinnerungsgemeinschaften“ zu berücksichtigen.

Die NS-Opferverbände in der Tschechoslowakei und ihren Nachfolgestaaten seit 1989 bis heute. Vergleich zwischen Tschechischer Republik und der Slowakei

Václava Kutter Bubnová

Im Zentrum des Dissertationsprojekts  "Die NS-Opferverbände in der Tschechischen Republik und in der Slowakei seit 1989 bis heute" stehen die nach 1989 gegründeten oder wiedergegründeten Opferverbände und ihre Diskurse.

Die während des Zweiten Weltkriegs sehr unterschiedliche politische Situation in den beiden untersuchten Ländern hatte großen Einfluss auf die spätere Erinnerungskultur, die am Beispiel folgender Organisationen untersucht wird: dem "Verband der Freiheitskämpfer", der "Theresienstädter Initiative", dem "Komitee für die Entschädigung des Sinti- und Roma-Holocaust" und dem "Kreis der Bürger der Tschechischen Republik, die 1938 aus dem Grenzgebiet vertrieben wurden" auf der tschechischen Seite sowie dem "Verband der antifaschistischen Kämpfer", "Hidden Child" und dem "Verband der Häftlinge aus den nationalsozialistischen Konzentrations- und Gefangenenlagern“ auf der slowakischen Seite.

Das Projekt analysiert und vergleicht die Entwicklung der Erinnerungskultur und der Opferdiskurse der untersuchten Verbände. Insbesondere werden die Entwicklung, Definition und Semantik des Opferbegriffs für die einzelnen Verbände detailliert untersucht und die Selbst- und Fremdwahrnehmung von anderen Opfergruppen sowie der Mehrheitsgesellschaft erforscht und diskutiert.

Ziel des Projekts ist es, die Forschungslücke zu den Themenbereichen Opferdiskurs und Opferverbände, die sowohl in der Tschechischen Republik als auch in der Slowakei zu konstatieren ist, zumindest zu verkleinern.

Diskurse über NS-Zwangsarbeit in Tschechien und Polen von 1945 bis 2005

Katrin Schröder

Das Dissertationsvorhaben beleuchtet vergleichend, wie sich die Diskurse über die Zwangsarbeit für das nationalsozialistische Regime in der Tschechoslowakei bzw. Tschechien und Polen von 1945 bis heute gestalteten.

In den kommunistischen Staaten wurden ehemalige NS-Zwangsarbeiter offiziell nicht als Opfer anerkannt. Gepflegt wurde vor allem die Erinnerung an den heldenhaften Kampf gegen Nazi-Deutschland, vermeintlich passive Opfer passten nicht in die staatlich geförderten Legitimitätsdiskurse. Dennoch gab es belletristische Werke, biographische Selbstzeugnisse und wissenschaftliche Werke, die Schlaglichter auf den Umgang mit dem Thema werfen.

Welches Bild wurde in ihnen von der Zwangsarbeit und den Zwangsarbeitern nach 1945 gezeichnet? Und welche Auswirkungen hatte dies – später – für den Opferstatus der Betroffenen, die Anerkennung ihres Leidens und die Forderung nach Entschädigung? Im Zuge des Systemwechsels konnten die ehemaligen Zwangsarbeiter eigenständige Verbände gründen. Sie wirkten als Interessenvertretungen zur Durchsetzung von Entschädigung und als Erinnerungsgemeinschaften. Wie haben sich diese in den 1990er Jahren in den Diskurs über die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg eingebracht und ihre Forderungen geltend gemacht?

Von Bedeutung ist hier die politische Wirksamkeit von Erinnerung sowie die Frage, ob und wie die Verbände Anschluss an bestehende Diskurse über die nationale Identität ihrer Länder fanden.

Publikation

Opfernarrative
Konkurrenzen und Deutungskämpfe in Deutschland und im östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg

Konferenz 2010

Opfernarrative. Konkurrenzen und Deutungskämpfe in der Nachgeschichte des Zweiten Weltkriegs
(Ústí nad Labem/Aussig, 5./6.10.2010)
Programm