Der böhmische Graf Richard Coudenhove-Kalergi und Ida Roland, seine aus jüdischer Familie stammende Frau, empfanden den Untergang des Habsburgerreiches als Verlust eines Vaterlandes, in dem man Patriot und Weltbürger zugleich sein konnte. Sie verschrieben sich der Mission, auf europäischer Ebene das zu kreieren, woran die Donaumonarchie gescheitert war: eine multiethnische Nation, in der Kosmopoliten und Minderheiten keine bedrohten Außenseiter sind. Dem verwegenen Projekt lag eine klare geopolitische Vorstellung zugrunde. Es galt, ein Zusammengehen Deutschlands und Russlands gegen die atlantische Welt zu verhindern und Mitteleuropas Anschluss an den liberalen Westen zu sichern. Damit trat »Paneuropa« in Konkurrenz zu gegenläufigen Großraumplänen – wie dem pangermanischen »Mitteleuropa«, der panangelsächsischen »Föderation atlantischer Demokratien« oder dem blockfreien »Europa der Dritten Kraft«. Epochenübergreifend wird die Paneuropa-Bewegung als Vor- und Frühgeschichte der »Westernisierung« nach dem Zweiten Weltkrieg fassbar. Martin Posselts Ideengeschichte der frühen Einigungsbewegung zeigt, wie sich die europäischen Institutionen aus dem Widerstreit geopolitischer Konzeptionen entwickelten.
Der Autor
Dr. Martin Posselt ist Historiker und Journalist. Er studierte Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie sowie Politik- und Sozialwissenschaften in Graz und Genf.
Weitere Informationen zur Schriftenreihe "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum".