Das Sudetendeutsche Wörterbuch. Wörterbuch der deutschen Mundarten in Böhmen und Mähren-Schlesien (SdWb) ist ein Nachschlagewerk, das die Mundarten der deutschsprachigen Bevölkerung in den böhmischen Ländern bzw. der Tschechoslowakei dokumentiert.

Die an der Justus-Liebig-Universität Gießen ansässige Redaktion ist eine Arbeitsstelle des Collegium Carolinum.

Mundartliche Großlandschaften

Die in der ehemaligen Tschechoslowakei gesprochenen sudetendeutschen Mundarten sind vom Ostmitteldeutschen und Oberdeutschen geprägt und gliedern sich in fünf mundartliche Großräume:

  • Mittelbairisch, gesprochen in Südmähren, im unteren und mittleren Böhmerwald, im Schönhengstgau (Hrěbečsko), der größten deutschen Sprachinsel, und in den Sprachinseln von Böhmisch Budweis (České Budějovice), Wischau (Vyškov), Brünn (Brno), Olmütz (Olomouc) und Wachtl (Skřípov),
  • Nordbairisch oder Oberpfälzisch in Westböhmen und der Sprachinsel Iglau (Jihlava),
  • Ostfränkisch im nordwestlichen Böhmen, im Schönhengstgau und im mittleren Nordmähren,
  • Obersächsisch in Nordböhmen und als Mischdialekt mit dem Nordbairischen in der Iglauer Sprachinsel,
  • Schlesisch im östlichen Nordböhmen, in Ostböhmen sowie in Nordmähren.

Ziele

Die sudetendeutschen Mundarten sind ein bedeutsamer Teil der tschechischen und (gesamt)deutschen Sprachgeschichte. Durch die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg in West- und Mitteleuropa sind diese Mundarten jedoch nur noch bedingt lebendig und im Untergang begriffen. Das Ziel des SdWb ist es daher, ihre Einmaligkeit und Besonderheit in ihren Wörtern und Redensarten für die west-und mitteleuropäische Sprach-, Kultur- und Gesellschaftsgeschichte zu dokumentieren, um sie in der Erinnerungskultur Europas zu verankern.

Über den dokumentarischen Charakter ergeben sich aus der Erschließungsarbeit auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitergehende Forschung. Denn aus der Grundlagenforschung des SdWb heraus bieten sich neben kulturanthropologischen und historischen Studien anhand der sudetendeutschen Mundarten insbesondere linguistische Forschungen an – hier vor allem solche, die unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Umstände für die jeweiligen Regionen (z. B. politische Einflüsse, Kontaktphänomene etc.) die Dynamik von Sprachwandel im Spiegel mundartlicher und fremdsprachlicher Hybridität untersuchen.

Geschichte des Wörterbuchs

Die wissenschaftliche Arbeit mit den Dialekten in Böhmen und Mähren begann schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die systematische Arbeit zum Aufbau eines Sudetendeutschen Mundartenwörterbuchs wurde in der Tschechoslowakischen Republik jedoch erst im Jahr 1930 nach einer Anregung des Leipziger Germanisten Theodor Frings in Angriff genommen. Frings war mit den Vorarbeiten zu einem Wörterbuch des damaligen Freistaates Sachsen beschäftigt und bat die beiden an der Prager Karls-Universität tätigen Kollegen Erich Gierach und Ernst Schwarz darum, eine Mundartensammlung in den an Sachsen angrenzenden Teilen West- und Nordböhmens zu erstellen. Schwarz und Gierach (gest. 1943) legten in den folgenden Jahren ein Konvolut mit 15 Fragelisten, 1.200.000 Belegzetteln und etwa 800 Verbreitungskarten an, das bis Kriegsende 1945 im Großen und Ganzen abgeschlossen war, dann aber verloren ging. Für beide Forscher und gewiss auch für die deutsche Bevölkerung der Sudetenländer war die Errichtung dieses aus tiefer Liebe zur Heimat geplanten ersten Mundart-Denkmals in den 1930er und beginnenden 1940er Jahren auch ein identifikatorisches und zugleich politisch gewolltes Unternehmen, zumal wenn beider, vor allem allerdings Gierachs Nähe zur völkischen Ideologie und später zum Nationalsozialismus bei diesem Urteil in Betracht gezogen wird.

Die Anfänge des heutigen SdWb in den frühen Jahren der Bundesrepublik lassen den Versuch, eine, nun jenseits der ehemaligen politischen Implikationen liegende sudetendeutsche Identität zu sichern und zu bewahren, noch durchscheinen. Mit Franz Joseph Beranek, der seine wissenschaftliche Laufbahn an der Deutschen Karls-Universität begonnen hatte und dort 1944 auf den Lehrstuhl für Volkskunde und Stammesgeschichte Mährens in Prag berufen worden war, begann Ernst Schwarz, der einem Ruf an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg gefolgt war, eine neue Sammlung aufzubauen. Nach seiner Vertreibung war Beranek ins Hessische gekommen, zunächst nach Butzbach, dann nach Gießen. Zusammen mit seiner Frau Hertha Wolf-Beranek, die das neue Wörterbuch mit ihm maßgeblich aufbaute, begann er die neue Materialsammlung zunächst in seiner Privatwohnung, erhielt dann 1959 Räume in der Justus-Liebig-Universität Gießen. Das SdWb wurde dann am 1. Mai 1957 „offiziell“ ins Leben gerufen. Vorsitzender der Wörterbuchkommission und Oberleiter der Kanzlei / Redaktion war bis 1978 Ernst Schwarz, dem Heinz Engels als Oberleiter folgte, Beranek wurde Leiter der Kanzlei / Redaktion. Nach seinem Tod 1967 folgten ihm seine Frau Hertha, 1974 Horst Kühnel als Mitleiter. Nach deren Ausscheiden gingen alle Verantwortlichkeiten, namentlich die Herausgabe des Wörterbuchs, auf Heinz Engels über. Ihm folgte nach dessen Emeritierung 1994 Otfrid Ehrismann.

Ende 1980 war die Sammlung so gut wie abgeschlossen. Die räumliche Absicherung garantierte die Universität Gießen, die finanzielle übernahmen u. a. das Land Hessen, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und schließlich ab 1986 der Freistaat Bayern. Das SdWb wurde dem Collegium Carolinum e. V. als Arbeitsstelle angegliedert.

Das jetzige Arbeitsmaterial des SdWb besteht aus 16.500 Arbeitskarten sowie 2,6 Millionen Belegzetteln; die Zahl der zu Beginn gesammelten 182.000 Synonymenverweise ist heute durch die laufende Arbeit erheblich höher. Das Material wurde zusammengetragen aus ca. 72.500 Fragelisten mit durchschnittlich ca. 60 Fragen, die durch Sonderlisten zu Berufsgruppen und Sachthemen, Heimatchroniken, -bücher, -zeitschriften und wissenschaftliche Veröffentlichungen, Wortsammlungen und freie Einsendungen ergänzt wurden. Das handschriftliche Material wurde von Hilfskräften transkribiert und unter hochdeutschen (Duden-)Lemmata alphabetisch archiviert. Germanistisch geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erstellen seitdem die einzelnen Wortartikel. 1988 konnte Heinz Engels den ersten Band des SdWb herausgeben.

Über die Arbeit am Wörterbuch geben die Publikationen des Collegium Carolinum regelmäßig Auskunft: bis 2011 in Form der Berichte über das SdWb, danach in den Jahresberichten des Collegium Carolinum. Das Wörterbuch ist auf zehn bis zwölf Bände geplant und erscheint in jährlichen Lieferungen zu jeweils ca. 80 Seiten.

Struktur der Wörterbuchartikel

Die Wörterbuchartikel des SdWb folgen einem bestimmten Richtlinien, die sich jedoch im Laufe der Geschichte des Wörterbuchs geändert haben. Hier finden Sie eine Übersicht darüber.

I. bis einschließlich Band V

1. Lemma:

  • Der Ansatz des Haupt- sowie auch der möglichen Nebenlemmata orientiert sich an der Duden-Ausgabe 1976 - 1981 und ist damit weitgehend standardisiert.
  • Ist ein im Archiv belegtes Wort dort nicht aufgeführt, wird dessen verneuhochdeutschte Form anhand des Deutschen Wörterbuchs von Jacob und Wilhelm Grimm, anhand anderer Mundartwörterbücher sowie/oder durch die Anwendung von Lautgesetzen ermittelt.
  • Diminutive werden unter dem Lemma ihres Substantivs behandelt; ist das zugehörige Substantiv nicht belegt, erhält das Diminutiv ein eigenes Lemma.
  • Analog verfahren wird mit Substantivierungen, die in der Regel im Artikel des Verbs oder Adjektivs erscheinen, von dem sie abgeleitet sind.
  • Hilfshinweise auf ein standardisiertes Stichwort werden generiert, wenn der entsprechende mundartliche Ausdruck im Standard veraltet ist, in seiner neuen Form aber sowohl im Duden als auch im Wörterbucharchiv existiert. Auch besonders häufig belegte verselbständigte Kurz- und Koseformen von Vornamen werden mit einem Hilfshinweis versehen und dann unter deren Ursprungsnamen abgehandelt.

 

2. Grammatische Angaben:

  • Maßgeblich für die grammatischen Angaben im SdWb sind die entsprechenden Definitionen der Duden-Grammatik.
  • Die bis zur Lieferung 5. des V. Bandes vorgenommene Kategorisierung von Verben in Bezug auf deren Valenz (Transitivität, Intransitivität, Reflexivität und Unpersönlichkeit) entfällt ab dem Lemma herunterrollen.

 

3. Lautbeschreibung: 

  • Als Basis für die Lautschrift dienen die Richtlinien der „Teuthonista“ (Zeitschrift für Mundartforschung). 
  • Bis einschließlich Band V sind die in der Sammlung belegten Simplizia mit einer ausführlichen Lautbeschreibung versehen.
  • Lautbeschreibungen von Verben enthalten prinzipiell den Infinitiv, bei starken und unregelmäßigen Verben in der Regel auch die Flexionsformen „1. Sg. Präs.“, „3. Sg. Präs.“, „1. Sg. Imp.“ und „Part. II“.
  • Bei Adjektiven werden – sofern im Archiv belegt – auch deren Komparative und Superlative lautlich dargestellt.
  • In Ausnahmefällen erhalten auch Komposita oder Derivationen einen Lautkopf; dies ist z. B. dann der Fall, wenn sich die Aussprache Ihrer einzelnen Komponenten deutlich vom Grundwort entfernt hat.

 

4. Semantischer Apparat:

  • Ist ein Wort in mehreren Bedeutungen belegt, werden diese von der Grundbedeutung ausgehend zu den übertragenden Bedeutungen aufgezählt. Bezeichnet ein Stichwort auch Pflanzen, stehen diese am Ende des Artikels.
  • Aus Gründen der Ökonomie werden dort, wo es möglich ist, Verweise statt ausführlicher Begriffsdefinitionen gesetzt. Diese Methode ist insbesondere auf dem Gebiet der Synonyme und Heteronyme effektiv, da in diesen Fällen immer auf ein festgelegtes Zentralsynonym verwiesen werden kann, unter dem die ausführliche Bedeutungsdefinition und auch die Auflistung sämtlicher bedeutungsgleicher Lemmata stattfindet.
  • Als Zeugnisse für den Gebrauch eines Wortes in der Sprachpraxis kommt der Dokumentation von ausgewählten überlieferten mundartlichen Beispielsätzen, -phrasen, Redensarten, Bauern- und Wetterregeln eine hohe Bedeutung zu. Sie werden im semantischen Teil der jeweiligen passenden Stichwortbedeutung zugeordnet.

 

Angaben zur Verbreitung: Als Basis für die verwendeten Kürzel bei den Verbreitungsangaben dient zum einen die „Orientierungskarte 2 – Kleinräumige Gebietsbezeichnungen“ in Band I. Als verbreitet („verbr.“) in einem Gebiet belegt gelten Begriffe, Bedeutungen oder Beispiele, die dort sechs und mehr Belege aufweisen; vereinzelt („*“) belegt sind sie bei drei bis sechs Belegen. Im Falle einzelner Belege werden die genauen Ortskürzel angegeben. Bei Einzelbelegen aus Literaturquellen steht zunächst das genaue Gebiets- oder Ortskürzel, das in dieser Quelle genannt ist, und anschließend das Kürzel für die jeweilige Belegliteratur. Die hierfür verwendeten Orts- und Literarturkürzel wurden zuletzt 2008 in einem vorläufigen Belegorte- und Literaturverzeichnis aktualisiert und publiziert.   

 

II. Modifikationen ab Band VI

Hauptsächlich aufgrund von im Jahr 2018 beschlossenen Straffungen sind zwischenzeitlich folgende Änderungen an der Artikelstruktur vorgenommen worden, die ab Band VI greifen:

Zu 2. Grammatische Angaben:

  • Ist ein Substantiv im Archiv des SdWb ohne Hinweis auf sein Genus belegt, wird künftig statt der bisherigen Angabe „o. Art.“ (für ‚ohne Artikel‘) das Gradzeichen „°“ (für ‚dem Wörterbuch mit 0 Genusangaben überliefert‘) gesetzt. 

 

Zu 3. Lautbeschreibung:

  • Eine ausführliche Lautbeschreibung entfällt prinzipiell, es werden jedoch bei Bedarf weiterhin sog. besondere Lautungen („bes. Ltg(n).“) verzeichnet (s. u. Einführung eines gesonderten Abschnitts für Anmerkungen), das sind z. B. solche, die das Wort aufgrund verschiedener phonetischer Phänomene (Assimilationen, Kontraktionen etc.) nur schwer identifizieren lassen.

 

Zu 4. Semantischer Apparat: 

  • Um nach dem Wegfall der ‚traditionellen‘ Lautbeschreibung dennoch einen umfassenden Eindruck von der Vielgestaltigkeit der Lautungen und der syntaktischen Verwendung der Wörter zu vermitteln, werden möglichst viele der belegten mundartlichen Satz- und Phrasenbeispiele aufgeführt. Dadurch wird eine praxisnahe Darstellung der dokumentierten Mundarten geboten.  

 

Eine strukturell einschneidende Modifikation, die gerade auch den Verzicht auf ausführliche Lautbeschreibungen erst möglich macht, ist die Einführung eines gesonderten Abschnitts für Anmerkungen unter den Wörterbuchartikeln. Neben den oben genannten besonderen Lautungen können hier, wenn es notwendig oder hilfreich ist, auch wertvolle andere Hinweise zu einem Stichwort gegeben werden (z. B. zur Etymologie), die eventuellen Missverständnissen vorbeugen oder bei weiteren Recherchetätigkeiten dienlich sein können. 

Redaktion und Kontakt

Die Redaktion des Sudetendeutschen Wörterbuchs hat ihren Sitz in Gießen und wird von Isabelle Hardt und Bettina Hofmann-Käs unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Gloning geführt.

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