Institut
15. 09. 2025

Nachruf auf Detlef Brandes (1941–2025)

 

Das Collegium Carolinum trauert um sein Mitglied Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Brandes.

 

Nur wenige Historiker können ein so imposantes Oeuvre vorweisen wie Detlef Brandes: neun Monografien, zwölf Sammelbände und Nachschlagewerke sowie eine Vielzahl an wissenschaftlichen Beiträgen hat er vorgelegt. In ihnen befasste er sich mit den Beziehungen Deutschlands und der Deutschen zum östlichen Europa, vor allem aber mit der deutsch-tschechischen Geschichte. Von diesem Schwerpunkt zeugt auch die Tatsache, dass sieben seiner Monografien und zahleiche Sammelbände ins Tschechische übersetzt wurden.

Seit seiner Dissertation „Die Tschechen unter deutschem Protektorat. Besatzungspolitik, Kollaboration und Widerstand im Protektorat Böhmen und Mähren bis Heydrichs Tod (1939-1942)“ hatte Brandes die Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen zu seinem Thema gemacht. Die umfangreiche Studie, für die er während der kurzen Zeit der Liberalisierung in der Tschechoslowakei auch in Prag forschen konnte, gilt bis heute als Standardwerk. 1969 wurde sie vom Collegium Carolinum veröffentlicht, ebenfalls dort erschienen 1975 der zweite Band seiner Protektoratsgeschichte über die Jahre 1943 bis 1945 und 1988 die Habilitationsschrift „Großbritannien und seine osteuropäischen Alliierten, 1939-1943. Die Regierungen Polens, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens im Londoner Exil vom Kriegsausbruch bis zur Konferenz von Teheran“. Mit dem Collegium Carolinum war Detlef Brandes Zeit seines Lebens nicht nur aufgrund der Veröffentlichung der meisten seiner Monografien (es folgten noch drei weitere) verbunden: Er wirkte dort von 1968 bis 1972 auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter und war bis zu seinem Tode Mitglied des CC.

Angesichts seines Forschungsprofils erscheint es fast zwangsläufig, dass Detlef Brandes auch der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission angehörte, welche die Außenminister der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik und der Bundesrepublik Deutschland 1990 ins Leben riefen. Von Beginn an bis 2023 war er dort als Mitglied aktiv, organisierte mit Kolleginnen und Kollegen mehrere Konferenzen und veröffentlichte die dazugehörigen Tagungsbände. Zudem war er in zahlreichen weiteren Funktionen mit tschechischen akademischen Institutionen verbunden, auch nach der Emeritierung im Jahr 2008, der eine kaum als „Ruhestand“ zu bezeichnende produktive Forschungstätigkeit mit weiteren Publikationen folgte. Dieses außerordentliche Engagement wurde mehrfach gewürdigt: Die Karls-Universität Prag verlieh ihm 2001 die Ehrendoktorwürde, zwei Jahre später zeichnete ihn die Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik mit der František-Palacký-Medaille für herausragende Verdienste um die Geschichtswissenschaft aus. 

Seine Hauptwirkungsstätte in Forschung und Lehre fand Detlef Brandes nach verschiedenen beruflichen Stationen in Deutschland sowie Gastdozenturen in den USA (New York und Stanford), Italien (Florenz) und Japan (Sapporo) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dorthin wurde er 1991 als Professor berufen und mit der Leitung des neu gegründeten Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa betraut. Neben deutsch-tschechischen Themen standen dort insbesondere die Geschichte der Deutschen in Russland, der Ukraine, Polen und Jugoslawien im Zentrum. Gerade Russland war prominent vertreten, legte Detlef Brandes doch 1993 eine grundlegende Studie zu den Deutschen im Zarenreich vor, womit er seinen zweiten Forschungsschwerpunkt etablierte: „Von den Zaren adoptiert: Die deutschen Kolonisten und die Balkansiedler in Neurußland und Bessarabien 1751-1914“.

Das kleine Institut wurde bald zu einem Anlaufpunkt für Forschende und Studierende aus dem In- und Ausland, vor allem – natürlich – aus Tschechien. Mit dem ehemaligen Dissidenten und Historiker Jan Křen, seinem Freund und Kollegen seit den Prager Archivstudien in den 1960er Jahren, baute Brandes eine vom DAAD geförderte Partnerschaft des Düsseldorfer Instituts mit dem von Křen nach dem Umbruch von 1989 gegründeten „Institut für internationale Studien“ der Karls-Universität Prag auf, die zusätzlich in eine Universitätspartnerschaft zwischen Prag und Düsseldorf mündete und bis heute (inzwischen vom Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der HHU) betrieben wird. So halten sich jedes Jahr tschechische und deutsche Dozenten und Forschende an der jeweiligen Partneruniversität auf.

Neben diesem unermüdlichen Wirken als Forscher und Netzwerker zeichnete Detlef Brandes der Einsatz für den wissenschaftlichen Nachwuchs aus: Mit großem Interesse und freundschaftlicher Wertschätzung, aber auch mit einem hohen Anspruch betreute er die Qualifikationsarbeiten seiner Schülerinnen und Schüler, beriet diese und vermittelte ihnen wissenschaftliche und institutionelle Kontakte zu Expertinnen und Experten im In- und Ausland. Diese produktive und zugleich familiäre Atmosphäre galt als einzigartig bei den deutschen und ausländischen Studierenden und Kolleginnen und Kollegen.

So erinnern sich viele Menschen in tiefer Verbundenheit und mit großer Dankbarkeit an Detlef Brandes, der am 2. September 2025 nach schwerer Krankheit im Alter von 84 Jahren in Berlin verstarb.

Volker Zimmermann

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Brandes bei einer Tagung der HHU Düsseldorf im Jahr 2003